Nächstenliebe bis zur Erschöpfung

 

Wer will nochmal, wer hat noch nicht?

 

Es gab Zeiten, in denen habe ich mich nahezu ausschließlich um andere gekümmert.

Ich meine, jetzt mal ganz ehrlich unter uns Pfarrerstöchtern gesprochen: Wieso auch nicht?

Überall hört und liest man, dass es Mensch erfüllt und glücklich macht, sich nicht nur um sich selbst, sondern um andere zu drehen, aufmerksam für seine Umwelt zu sein, und den Schritt auf andere zuzugehen.

 

Ja, das habe ich gemacht - habe ich auch so vorgelebt bekommen.

 

Die Gemeindearbeit meiner Eltern über 26 Jahre und darüber hinaus hat Spuren bei mir hinterlassen. Viele sehr schöne und tiefgreifende, und gleichzeitig auch Spuren, aus denen ich nur schwer wieder heraus gefunden habe.

 

Mein Ansatz war immer, anderen von meiner Liebe und Wärme abzugeben. Zu genüge habe ich gesehen, dass viele Menschen um mich herum nicht unbedingt damit gesegnet wurden.

Ich habe so viel Zuspruch und -wendung bekommen, dass es für mich die logische Konsequenz war, von meinem "großen Ding" in mir drin etwas weiter in die Welt zu tragen. Und das hat mich schlichtweg auch erfüllt und mir und meinem Leben einen Sinn gegeben. Bis heute.

 

In Beziehungen hatte ich ein Händchen dafür an Menschen zu geraten, die sehr stark mit sich und ihrem Sein, Leiden und was auch immer beschäftigt waren.

Stets dachte ich: Die Liebe, meine Liebe, wird reichen, um meinem Gegenüber die große, weite, warme und liebevolle Welt nahezubringen.

Meistens endeten die Beziehungen ziemlich hart und kalt.

Was war geschehen?

 

Die Kurzversion:

Ich habe mich selbst vergessen und mich auf der Strecke links und auch gleich rechts liegen lassen. Ich war so sehr damit beschäftigt, mich um den anderen zu drehen, dass ich gar keine Kapazitäten mehr hatte, meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, meine Verletzungen zu verbalisieren und dazu zu stehen, dass es mir innerhalb der Beziehung eben nicht immer gut geht

Bloß nichts sagen! Bloß nicht anecken und verlauten lassen:

"Öh, äh,... du,.. also, das tut mir jetzt aber eeeeecht weh! ...dass du mich als 'zu sensibel', 'zu emotional', 'zu anstrengend' darstellst... und eigentlich fühle ich mich von dir missverstanden..."

 

- Ach nee, kein Problem für mich, wenn Du vor meiner Nase mit jemand anderem rumknutschst: Du, is' echt kein Ding!

Versteh' ich. War ja auch voll doof von mir Dir vorhin zu sagen, Du sollst nicht schon wieder so viel trinken oder Dein schönes Näschen in das weiße Zeug reinstecken. Ach Du, da hängt übrigens noch was dran, warte, ich wisch es Dir weg...

Ja, klar, geht mich ja auch nichts an, was Du da machst... voll verständlich, wenn Du mir am Tag der Beerdigung meiner Oma eine Szene machst und sagst, dass ich mich immer nur um meine Familie drehe... Du, sorry, wenn ich Dich so vernachlässigt habe. Versteh ich, dass Du unsre Beziehung in Frage stellst und mich in der verletzlichsten Zeit meines bisherigen Lebens mit meinen Fehlern konfrontierst...

Tut mir leid, wenn ich gerade traurig bin, weil um mich herum so viele Kinder gestorben sind, an deren Tode ich zu knabbern habe. Hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen... warte, ich hab ihn gleich wieder gefunden...-

 

Ich will nicht sagen, dass ein Leben mit mir einfach ist, schließlich konfrontiere ich mich, seitdem ich denken kann, mit den schwereren Themen des Lebens (wer es noch nicht weiss, meine Hobbies sind: die Auseinandersetzung mit Tod, Trauer, Abschied sowie Dokus über Gehirntumore, Sterbende, Trauernde, Suizide, Morde und psychische Störungen anschauen und alles, was mir dazu an Literatur in die Finger gelangt, zu lesen).

 

Absichtlich habe ich mich damit konfrontiert. Immer und immer wieder, und das werde ich auch bis zu meiner eigenen Abreise weiterhin tun. Ich will so viel verstehen, will wissen, warum wir Menschen so sind, wie wir sind. Warum es manche Menschen gibt, die irgendwie auch anders sind, als "wir" oder "du" oder "ich".

Warum strahlt der eine Mensch von innen heraus mehr, als es der andere tut?

Was ist bei demjenigen so unsäglich schief gelaufen, dass sich das ganze Wesen vor mir in einer sogar optisch ersichtlich schiefen Ebene befindet?

 

Auch ich würde von mich behaupten, dass ich mich zeitweise in einer schiefen Ebene befunden habe. Ja, okay... lange.

Die Gründe dafür waren immer wieder die selben.

Zwar habe ich dieses riesengroße Ur-Vertrauenspaket, viel Liebe und Zuspruch, in die Wiege gelegt bekommen, doch das mit der Abgrenzung gegenüber anderen... Distanz und Nähe... mich um mich kümmern... tja... wie soll ich sagen? Das war mir eher fremd.

 

Und dann noch die ehrenamtlichen Tätigkeiten (und da kann ich schon sagen) bis zum Erbrechen.

Wie ehrenvoll. Wie toll. Wie könnte ich auch nicht?

Es tut gut für andere dasein zu dürfen, anderen die Hand auszustrecken und sie zu stützen, wenn es in deren Leben gerade nicht rund und rosig läuft.

Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin: habe ich mich mir selbst gegenüber auch so liebevoll verhalten?

Habe ich mir selbst die Hand gereicht, mich getröstet und mich mit all meinem Sein geliebt?

Nö.

 

Und ganz ehrlich auch hier wieder: Wieso denn auch?

Es gilt doch schnell als egoistisch und stur, sich um sich zu kümmern. Wie findet man denn da bitteschön die Balance zwischen dem, was wir als soziale Wesen an Kümmerei um andere brauchen und dem, was wir als eigenständige Person uns ganz ehrlich im Innersten wünschen? Pffffft...

 

Nach zig Kummerphasen und Tränen eines Isarstroms gleich, habe ich irgendwann verstanden, dass ich tatsächlich und ausschließlich nur für andere in meiner vollen Kraft da sein kann, wenn ich mir selbst all diese Liebe und dieses volle Verständnis vorher geschenkt habe.

 

Dabei hilft unfassbar sehr der Geist, der in einem Clownleben steckt.

Ein Clown scheitert für sein Leben gern (das hat Perfektionistin-Miriam früher überhaupt nicht gern gemacht), ein Clown sieht in jedem Moment und empfindet für jeden Menschen wahres Glück und Liebe (das hat Melancholie-Miriam überhaupt nicht so drauf gehabt), und ein Clown hat keine Grenzen des Gebens (das hat Miriam mit Clown gemein). Doch der Mensch hinter dem Clown muss genau diese Grenzen erfahren und erkennen, bevor am Ende des Tages nur noch das rote Näschen aus der Isar hervorblitzt.

Ein Burnout mit Ende 20 war die Rechnung nach dem Marathon-Geben.

Ich bin so froh darum, dass ich diese Erschöpfung erreicht hatte, sonst wäre es so weiter gegangen und ich hätte den Strudel nicht verlassen können.

 

Jeden Tag aufs Neue übe ich mich im Annehmen meinerselbst und abgrenzen gegenüber anderen. JE-DEN TAG!

Mein tägliches Workout. Manchmal schwitze ich dabei mehr, manchmal weniger.

Ich merke wie es mir gut tut, das aktive, bewusste Training des Bewusstseins-Muskels.

Lasse ich mich ein paar Tage gehn, hänge ich wieder in meiner alten schönen Gebensschleife drin, meiner ehemaligen Komfortzone.

 

Nur nochmal zum Verständnis:

Ich habe nichts gegen das Gegen. Überhaupt nicht. Doch fordere ich alle Geber und Innen auf, es wirklich erst dann zu tun, wenn Ihr Euch selbst ebenfalls vorher etwas "davon" abgegeben habt, was Ihr geben wollt. Keiner kann etwas wahrhaftig geben, was er nicht selbst für sich selbst übrig hat.

Kurzfristig geht das gut, mittelfristig kann man sich auch noch über ein paar Täler wuppen, doch langfristig ist so eine Form von Nächstenliebe zum Scheiterhaufen verurteilt.

 

So. Jetzt aber genug.

Wie hat neulich ein Bekannter zu mir so vortrefflich schön gesagt?

"Ich habe versucht, mit Engelsfüßen auf ihn einzureden..."

Soweit sollte es nicht kommen müssen. Wobei? Besser, als mit Engelsfüßen auf jemanden eintreten...

 

Doch. Miteinander reden hilft in der Tat. Mit sich selbst und meinem Nächsten.

Und: Ja, auch hier muss ich Oma Paula abermals zitieren:

"Du musch mit d'Loid schwätza!" - da beißt die Maus kein Käse ab.

 

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