"Miriam, du musch mit d'Loid schwätza!"

 

Weise Worte von Oma Paula

 

Oma Paula vermisse ich seit knapp 13 Jahren beinahe jeden Tag.

Heute wäre ihr 95. Geburtstag.

Königin Elisabeth II. und sie sind knapp zwei Monate auseinander. Jedes Mal wenn ich sä Queen sehe, denke ich, warum ich nicht auch meine Oma noch sehen kann. Müsste ja nicht unbedingt im Fernsehen sein. Das hätte sie eh nicht gewollt.

 

Wenn ich an sie und ihre Abreise denke, kullern weiterhin Tränen bis in mein T-Shirt hinein - besonders an Tagen wie heute.

Ihr Mann Hermann, mein Opa, reiste 7 Jahre vor ihr ab. Prinz Philip ist übrigens derselbe Jahrgang wie mein Opa und beide nur einen Monat auseinander.

Meine Verbundenheit zum Königshaus ist demzufolge naheliegend.

 

Ehrlich gesagt hatte ich lange nicht verstanden was Oma Paula damit meinte: "Du musch mit d'Loid schwätza!" Haja, das mach' ich doch... dachte ich immer.

Tatsächlich dauerte es bis weit nach ihrem Tod bis ich es zumindest schon mal ansatzweise verstanden hatte.

 

Reden ist das eine, doch wirklich verstanden werden das andere. Manchmal redet man sich ja den Mund fusslig und das Gegenüber schaut Dich an, als spräche man die Buchstabenreihenfolge rückwärts aus.

Und dann haben wir den Salat. Meine Worte werden von gegenüber anders wahr- und aufgenommen, bis man scheinbar überhaupt nichts mehr von der ursprünglichen Aussage vor sich auf dem imaginären (Salat-)Teller liegen hat.

Es ist zum Verzweifeln und mir bleibt nichts anderes übrig, als die restlichen Buchstabenbrocken aus meinen Zähnen mit einem Zahnstocher herauszupulen.

 

Um mit "d'Loid" wirklich reden zu können, musste ich vorab meine Hausaufgaben machen.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole:

Erst, wenn ich von mir selbst weiss, wie es mir geht, ich mir selbst gut zuhöre, kann ich meinen Wortsalat mit jemand anderem wahrhaftig mitteilen.

Erst, wenn ich meinem Gegenüber wirklich zuhöre, mit allen Sinnen, kann dieser Mensch mit mir in wahrhaftige Verbindung treten.

Es isch halt doch net so, dass mr oifach druff losschwätza sodd. Noi!

 

Meine Großeltern sind jeweils beide um Ostern herum verstorben. Als hätten sie sich die Osterzeit mitsamt der Auferstehung als Sprungbrett absichtlich ausgesucht.

Ostern ist für mich also seitdem mit dem Verlust meiner Großeltern verbunden, zu denen ich einen besonderen Draht hatte.

Schon als kleines Kind wusste ich, dass man von alten Menschen viel lernen kann. Vorallem wenn es liebevolle Großeltern sind, wie es meine waren. Damals waren sie natürlich noch nicht alt, aber für mich schon steinalt mit Anfang 50.

 

Humor hatten beide einen sehr großen. Trotz ihrer eigenen Kindheit haben sie Dankbarkeit, Liebe und Wärme für mich ausgestrahlt.

Mit Opa tobte ich mich gern im Garten oder beim Kartenspiel aus, mit Oma verzweifelte ich beim Kartoffelschälen oder ärgerte mich beim "Mensch-ärgere-dich-nicht" spielen. Die Leidenschaft für Kreuzworträtsel ist bis heute geblieben und mit den Kartoffeln komme ich mittlerweile besser zurecht.

Was mich beide ebenfalls lehrten, war Zugewandtheit und Teilnahme an Gemeinschaft zu pflegen, ein herzliches Lachen und Vertrauen ins Leben zu haben sowie, ganz wichtig, anderen gut zuzuhören.

 

Ihr Tod hat mich damals zutiefst getroffen und aus der Bahn geworfen.

Meine Oma sah ich bezeichnenderweise an Karfreitag zum letzten Mal. Sie war schon sehr von ihrer kurzen Erkrankung gezeichnet und bat mich ihren Rücken mit Franzbranntwein einzureiben. Es war quasi die letzte Ölung für mich...für sie... für uns beide.

Als ich eine Woche später die Stimme meiner Mutter am Telefon hörte, die aussprach, wovor ich solche Angst hatte, war es wirklich so, als würde mir mein Herz rausgerissen werden. Ich war gelähmt und hörte mein Blut von innen gegen mein Ohr pochen, so laut, wie seither nie wieder. Ich saß gerade in München mit Freunden in einem Café und weinte sofort los. Anteilnehmende Blicke von außen nahm ich nur noch vernebelt war.

 

Es hat mich in eine schwere Dunkelheit und Trauer katapultiert, aus der ich mich, dank meiner Familie und damit auch dazugezählt meiner Freunde, herausschälen konnte. Doch das hat lange gedauert. Ich dachte ernsthaft, ich könne nie wieder lachen.

In dieser Zeit funktionierte ich als KlinikClown völlig mechanisch. Es war für mich unmöglich Freude empfinden zu können, auch wenn ich sah, dass ich anderen weiterhin Freude brachte. Ich selbst war leer und innerlich tot.

 

So schleppte ich mich von Stunde zu Stunde, Tag zu Tag, bis irgendwann das erste Jahr "ohne" überlebt war.

Die Trauer wich meiner Dankbarkeit darüber, dass ich überhaupt in den Genuss dieser großartigen Menschen in meinem Leben kam, dass ich Omas Kartoffelsalat genießen, ihre Herzlichkeit erleben durfte und sie mit ihrem engelsgleichen, glockenklaren Lachen weiterhin in meinen Ohren hören kann.

 

Ich rede mehr denn je mit den Menschen.

Den Podcast "FRAU ENDLICH spricht über Tod & so" habe ich genau deswegen mit ihrem Zitat begonnen, da in diesem Satz für mich die ganze Wahrheit und Direktheit liegt, die ein Miteinander schöner, lebenswerter und liebenswürdiger macht.

 

Wir müssen miteinander reden, uns mitteilen und gut zuhören. In Zeiten wie diesen mehr denn je.

Ich kann nur Jede*n ermutigen, immer wieder den ersten Schritt auf andere zuzugehen, auch, wenn es jemand Fremdes ist.

Manchmal braucht es länger jemanden zu erreichen, doch irgendwann hat man Nähe gewonnen. Auch mit Abstandsregeln lässt sich Nähe herstellen.

Schritt für Schritt.

Wort für Wort.

 

Danke, Oma Paula. Für alles und noch mehr.

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Kommentare: 2
  • #1

    Isabella (Sonntag, 28 Februar 2021 18:24)

    Wunderbar geschrieben liebe Miri!
    Deine Oma Paula hat Dir sehr viel mit auf Deinen Weg gegeben und ich spüre, dass Du ihr sehr ähnlich bist, obwohl ich sie nur aus Deinen liebevollen Erzählungen kennenlernen durfte.
    Ich bin sehr stolz darauf, die Enkelin von Oma Paula zu meinen Freunden zählen zu dürfen!

  • #2

    Karin (Freitag, 12 März 2021 11:04)

    Liebe Miriam,
    Dei Oma und Du hon oifach recht - schwätz' weider mit de Leit. I gfrei mi scho auf da nägschta "Poschtkad"!